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„Wir müssen aufhören, die Klimadebatte ideologisch zu führen“





Table Media

von Markus Bickel

7. Dezember 2023


Der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in Berlin, Ahmed Alattar, beklagt die Ideologielastigkeit der Klimadebatte in Deutschland – und plädiert im Interview für eine Balance zwischen Emissionsreduzierung und Wirtschaftswachstum.


Herr Alattar, was erwartet sich Ihr Land von der Ausrichtung der COP28?
Unsere wichtigsten Erwartungen und Ziele für die COP28 sind klar: Wir wollen die COP28 zu einem entscheidenden Wendepunkt machen, an dem sich die Weltgemeinschaft zusammenschließt, konkrete Maßnahmen ergreift und ihre Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels einhält. Wir sind uns der dringenden Notwendigkeit bewusst, die globale Erwärmung und ihre verheerenden Auswirkungen auf unseren Planeten einzudämmen, von extremen Wetterereignissen bis hin zum Verlust der Artenvielfalt und der Lebensgrundlagen. Wir unterstützen eine gerechte Energiewende, die alle Interessengruppen einschließt. Die Klimafinanzierung wird ein wichtiger Teil der COP28 sein, weil wir ausschließen wollen, dass es Rückgänge beim Wirtschaftswachstum weltweit gibt.
Das sehen Klimakritiker anders, selbst die Bundesregierung in Berlin will weg von einem allein an Wachstumskriterien ausgerichteten Kurs.
Wir müssen aufhören, die Klimadebatte ideologisch zu führen, und sollten anfangen, rational nach praktikablen Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels zu suchen. Ein Teil des Narratives hier in Deutschland besteht ja leider in der Forderung, von heute auf morgen auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu verzichten. Wir denken, dass das sehr gefährlich ist. Denn wenn wir jetzt aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, wird das politischen Widerstand gegen die Beendigung der Nutzung fossiler Brennstoffe erzeugen. Und zwar auf eine Art und Weise, die dazu führt, dass immer mehr Menschen die Idee, den Planeten zu schützen und den Klimawandel zu bekämpfen, ablehnen werden.
In nackten Zahlen: Was wäre aus Ihrer Sicht ein Erfolg der COP28?
Wir müssen eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien ankündigen. Wir müssen uns ernsthaft mit der Klimafinanzierung befassen, und wir brauchen einen Ausstieg aus der ungebremsten Nutzung fossiler Brennstoffe. Zu den wichtigsten Herausforderungen bei den Verhandlungen gehört die dringende Notwendigkeit, die Emissionen in den nächsten sieben Jahren um 43 Prozent zu senken, um einen katastrophalen Kipppunkt abzuwenden. Die weltweite Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass wir bis zum Jahr 2030 22 Gigatonnen Emissionen reduzieren müssen. Das bedeutet, dass wir mehr saubere Energiequellen einführen und diejenigen, die zu schädlich für unser Klima sind, schrittweise abschaffen müssen.
Die Emirate stellen sich seit mehr als einem Jahrzehnt auf ein Ende des fossilen Zeitalters ein. Wie lenken Sie diesen Wandel?
Zum einen bekämpfen wir natürlich die Emissionen. Zum anderen setzen wir aber auch Parameter, um Emissionen und Wirtschaftswachstum so gut wie möglich auszubalancieren. Denn wenn man zu sehr in die Richtung geht, die Emissionen zu bekämpfen und damit dem Wirtschaftswachstum zu schaden, werden langfristig auch die Emissionen dem zum Opfer fallen. Und wenn man zu sehr in Richtung Wirtschaftswachstum geht, dann wird dadurch der Klimawandel beeinträchtigt. Die VAE verfolgen aktiv einen mehrgleisigen Ansatz, um den Übergang in ein Zeitalter nach dem Öl zu schaffen. Sie investieren in erneuerbare Energien, grüne Technologien und Nachhaltigkeit, während sie gleichzeitig ihre Wirtschaft diversifizieren und internationale Partnerschaften eingehen, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Initiativen zielen darauf ab, die langfristige wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten und die Abhängigkeit des Landes von den Öleinnahmen zu verringern.
Ist Ihr Land bereit, in den auf der COP27 in Sharm el-Sheikh beschlossenen Loss- and Damage-Fonds einzuzahlen?
Dieser Fonds wurde für Länder geschaffen, die die meisten CO2-Emissionen weltweit verursacht haben, zu diesen zählen wir nicht. Wir sind als Wirtschaft erst vor 25 Jahren richtig durchgestartet. Wie kann man also von uns verlangen, dass wir in den Fonds für Verluste und Schäden einzahlen, die andere verursacht haben?
Das heißt, Ihre Haltung ist da eindeutig, keine Kompromisse möglich?
Wir wollen, dass es eine Einigung in der Fondsfrage gibt. Das ist für uns entscheidend. Wir setzen uns für einen integrativen, transparenten und zukunftsorientierten Prozess ein, der niemanden zurücklässt und Partnerschaften für fortschrittliches Handeln mit allen schließt.
Fünfzig Kilometer nur trennen die Küsten Irans und der Vereinigten Arabischen Emirate voneinander. Könnte der Golfkooperationsrat (GCC), dem Ihr Land neben Bahrain, Kuweit, Katar, Oman und Saudi-Arabien angehört, eine Rolle beim Aufbau eines Systems kollektiver Sicherheit in der Region spielen?
Ich denke, der Golfkooperationsrat erfüllt diese Funktion schon in einem gewissen Grad, indem er ein gemeinsames Identitätsgefühl bietet, das für die Sicherheit in der Region sehr wichtig ist. Wichtig ist es aber auch, Freihandelsabkommen mit anderen Teilen der Welt abzuschließen. Das gilt übrigens auch für den Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland, das es bis heute nicht gibt. Die Art und Weise aber, wie der Golfkooperationsrat sicherheitspolitisch agiert, unterscheidet sich von der etwa der Nato. Dort gelten andere Standards, andere Wege der Politikgestaltung.
Der GCC wird die Arabische Liga also nicht ersetzen?
Der Golfkooperationsrat ist ein sehr wichtiger Partner und Stabilitätsfaktor in der Golfregion. Er hat den Golfstaaten einen Rahmen geboten, um die Zusammenarbeit zu fördern, Konflikte zu lösen und unsere Integration zu vertiefen, unter anderem durch einen gemeinsamen Mehrwertsteuersatz. Sie ergänzen sich, und das schon seit einer ganzen Weile. Zudem vertritt die Arabische Liga weiter eine sehr große Bandbreite an politischen Positionen, die Gruppe des Golfkooperationsrats ist im Vergleich dazu doch eher kleiner.
Wie wichtig sind kulturelle und gesellschaftliche Bindungen zwischen Deutschland und Ihrem Land? Gibt es Projekte, die auf den Jugendaustausch abzielen?
Kulturelle und gesellschaftliche Bindungen sind in unseren bilateralen Beziehungen von größter Bedeutung. Sie sind das Herzstück unserer Beziehungen und fördern das gegenseitige Verständnis über politische und wirtschaftliche Aspekte hinaus. In Anerkennung der zentralen Rolle der Jugend engagieren wir uns aktiv in Projekten zur Förderung des interkulturellen Austauschs, wie es in unserer gemeinsamen bilateralen Erklärung zur Förderung einer umfassenderen strategischen Partnerschaft heißt. Um nur einige zu nennen: Wir haben einen akademischen und wissenschaftlichen Austausch mit der Universität Leipzig und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Darüber hinaus ist die Europa-Universität für angewandte Wissenschaften die erste deutsche Hochschule, die im April 2023 eine Zweigstelle in den VAE auf dem UE Campus Dubai eröffnet hat, ihren ersten Standort außerhalb Europas. Wir sind sehr stolz auf diese Kooperationen.


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