Handelsblatt
Von Luisa Bomke, Larissa Holzki
07. Mai 2024
Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ist ein
geopolitischer Wettstreit um die Emirate entstanden. Hintergrund ist die
KI-Revolution.
Der Botschafter lässt in seinem Büro Kaffee in Gläschen
servieren. Dann kommt Ahmed Alattar direkt auf das Thema dieses Treffens zu
sprechen: Künstliche Intelligenz. Eine Woche vor dem Gespräch hat das
wichtigste KI-Unternehmen der Emirate, G42, ein Milliardeninvestment von
Microsoft angekündigt. Der US-Konzern will 1,5 Milliarden Dollar in Abu Dhabi
investieren. „Wir haben einen Meilenstein in unserer KI-Reise erreicht“, sagt
er und lehnt sich entspannt an die Sofakante.
Alattar, Ende 30, Dreitagebart und rot gemusterte Krawatte,
wurde vor zwei Jahren von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Berlin
entsandt. In seinem Studium hatte er sich einst mit dem Stoff beschäftigt, für
den sein Land traditionell bekannt ist: Erdöl. Jetzt repräsentiert er, wie die
Emirate heute in der Welt wahrgenommen werden wollen: jung, smart,
digitalaffin.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) wollen vom Ölstaat
zur KI-Macht werden. Denn die fossilen Rohstoffe reichen nur noch ein paar
Jahrzehnte. Die Scheichs brauchen eine Zukunftsstrategie, um ihren Reichtum zu
erhalten – und sie setzen auf KI.
Schon 2017 hat die Regierung mit Omar Al Olama einen
KI-Minister eingesetzt. Bis 2031 sollen 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
mit KI erwirtschaftet werden. Ein neuer staatlicher Wagniskapitalfonds soll
dazu Milliardenbeträge in junge Tech-Firmen pumpen. Längst haben diese
Ambitionen die Aufmerksamkeit der USA und Chinas geweckt.
Vor dem Microsoft-Deal mit G42 soll monatelang darüber
verhandelt worden sein. Beteiligt war daran wohl nicht nur die US-Regierung,
sondern auch Amerikas Geheimdienste. Mit dem Abschluss des Deals ist den
Amerikanern ein geostrategischer Coup gelungen.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist in den vergangenen
Jahren ein internationaler Wettstreit um Technologiepartnerschaften mit den VAE
entstanden. Es geht um die Frage, welche Welt- und Technologiemacht sich den
Einfluss in dem oft als fortschrittlichsten Staat am Golf beschriebenen Land
sichern kann – China oder die USA.
Drei Faktoren zeigen, warum die Region und ihre
KI-Ambitionen so wichtig sind.
1. Die wirtschaftliche Situation
„Wir sind das Tor zum Rest der Welt“, sagt Botschafter Alattar selbstbewusst. Eine Aussage, die auch für deutsche Beobachter vor Ort eine zunehmende Berechtigung hat. Laut Nicola Lohrey, geschäftsführende Partnerin bei der Beratung Rödl und Partner, nutzen mehr und mehr Unternehmen die arabische Halbinsel, um Afrika und Zentralasien zu erschließen.
Oliver Oehms von der deutschen Auslandshandelskammer in Abu
Dhabi verzeichnet die meisten Neuanmeldungen von kleinen und mittleren
Digitalunternehmern. Dazu zählte in den vergangenen Jahren auch Alexander
Fridhi. Um in der Region Geschäfte zu machen, bräuchten Unternehmen eine
Präsenz in einem der Golfstaaten, sagt er. „Der beste Weg in die Region führt
über die Emirate.“ Fridhi bietet mit seinem Unternehmen DDG KI-Lösungen für
Familienunternehmen vor Ort an.
„Niedrige Marktzutrittsschranken, niedrige Steuern“, fasst
Botschafter Alattar die Erfolgsformel zusammen, mit der die VAE Unternehmen
anlocken und sich zum Wirtschaftszentrum entwickelt haben. Alle Behördengänge
sind digital möglich. Eine Art Express Gate gibt es für Unternehmer, die in
Zukunftsbranchen aktiv sind.
Sam Altman, der Chef des ChatGPT-Entwicklers OpenAI, sagte
im Februar, die VAE könnten als „regulatorischer Sandkasten“ für die Erprobung
von KI dienen – ein Spielfeld also, auf dem mehr als anderswo möglich ist.
„Hier wird schneller gehandelt, weil Kontrolle und Gegenkontrolle fehlen“, sagt
ein Diplomat, der in den Emiraten lebt.
Es sind die wirtschaftlichen Vorteile eines absolutistischen
Systems. Freihandelsabkommen ja, Freiheitsrechte nein, darauf müssen sich die
internationalen Unternehmen einlassen.
Viele machen das: In den VAE ist das Bruttoinlandsprodukt
2022 um etwa 7,4 Prozent gewachsen, in Saudi-Arabien sogar um 8,7 Prozent.
Europaweit waren es gerade einmal 3,6 Prozent. Und während der Internationale Währungsfonds
für 2024 für Deutschland in der EU nur 0,7 Prozent Wachstum erwartet und für
Nordamerika 2,1 Prozent prognostiziert, sind es für die VAE immerhin noch 3,5.
2. Die geografische Lage
Auch die geografische Lage hilft: Im Hinblick auf den
massiven Stromverbrauch von KI-Anwendungen schlage die Region wegen der quasi
unendlich verfügbaren Sonnenenergie sogar alle anderen Standorte weltweit, sagt
Alexander Fridhi: „Alles, was Energie verbraucht, ist vor Ort günstiger als im
Rest der Welt.“
Trotz der Vorteile bauen Microsoft und Co ihre Infrastruktur
jetzt erst richtig auf. Zwar hatte Microsoft schon 2019 Rechenkapazitäten im
Land geschaffen, seitdem ist die Microsoft-Cloud in Abu Dhabi und Dubai
verfügbar. Der Standort am Golf ermöglicht aber auch, in der ganzen Region
Cloud- und KI-Lösungen zu verkaufen, weil etwa das Horn von Afrika und
Zentralasien in geografischer Nähe liegen.
Der Aufbau weiterer eigener Rechenzentren dürfte Experten
zufolge aber noch zwei Jahre dauern. Elias Aad, Partner bei der
Unternehmensberatung Roland Berger im Büro in Dubai, sagt sogar: „Der Bau und
die Inbetriebnahme neuer Rechenzentren dauert durchschnittlich 72 Monate.“
Die größte Marktmacht auf dem Cloudmarkt vor Ort haben daher
heute noch lokale Anbieter. Dazu zählt Khazna, eine Tochter von G42. Microsoft
will jetzt die Infrastruktur seines Partners nutzen, um KI-Lösungen von den
Emiraten aus im Nahen Osten, in Zentralasien und Afrika anzubieten.
3. Neue Brandmauern gegen China
Um zum KI-Staat zu werden, wollen die Emirate aber nicht nur
Standort für Firmen sein, sondern auch an den wichtigsten Unternehmen für
Künstliche Intelligenz beteiligt. Der Staatsfonds Mubadala hat jüngst für 500
Millionen Dollar Anteile der US-Firma Anthropic gekauft, einer der
aussichtsreichsten Wettbewerber von OpenAI. Künftig sollen die Investments ganz
neue Dimensionen erreichen.
Mubadala will mit dem Microsoft-Partner G42 den neuen Fonds
MGX aufsetzen, um global in Künstliche Intelligenz und Halbleiter zu
investieren. Laut Insidern könnte er in wenigen Jahren bis zu 100 Milliarden
Dollar schwer sein.
Welche Ambitionen Risikokapitalgeber aus dem Nahen Osten
international haben, zeigt die Höhe der Investitionen: Trotz anhaltender Krise
am Wagniskapitalmarkt hatten sich ihre internationalen KI-Investitionen bereits
im vergangenen Jahr wieder dem Rekordniveau von 2020 angenähert.
Damals belief sich die Gesamtsumme auf 246,5 Millionen
Dollar, 2023 waren es 212 Millionen Dollar. Im aktuellen Jahr sind bereits elf
neue Deals zu verzeichnen, zeigt eine exklusive Auswertung der Datenplattform
Pitchbook für das Handelsblatt. Allein Mubadalas Beteiligung an Anthropic, die
hier noch nicht eingerechnet ist, wird die Summe am Ende mehr als verdoppeln.
„Die VAE haben eines der florierendsten VC-Ökosysteme“, sagt
Elias Aad von Roland Berger. Viele Risikokapitalfirmen hätten sich dort
niedergelassen, weitere würden folgen. Das mache den Standort noch attraktiver
für KI-Unternehmer.
Auch in den Emiraten selber sind die Investitionen in
KI-Start-ups deutlich gestiegen. Laut Pitchbook konnten KI-Firmen dort 2020 in
zehn Finanzierungsrunden insgesamt gut sieben Millionen Dollar aufnehmen. Im
vergangenen Jahr registrierte Pitchbook einen Anstieg auf 96 Millionen Dollar
bei 29 Finanzierungsrunden. Die Tendenz Ende April 2024: steigend.
Erschwert werden könnte das Wachstum der lokalen KI-Szene
allerdings durch amerikanische Exportbeschränkungen. De facto können die USA
heute steuern, wer seine KI-Entwicklung vorantreiben kann. Grund ist der
heimische Chipkonzern Nvidia, dessen Halbleiter sich am besten für die
Entwicklung Künstlicher Intelligenz eignen. Deswegen sind Auflagen für den
Konzern in Zeiten der weltweiten KI-Revolution eine Art Mittel der
Außenpolitik.
Seit 2023 braucht der Konzern Sonderlizenzen, wenn er Chips
wie den begehrten H100 in Staaten des Nahen Ostens liefern will. Damit strafen
die USA unter anderem Saudi-Arabien ab, das im vergangenen Jahr im Bereich
Künstliche Intelligenz eine engere Zusammenarbeit mit China beschlossen hat,
aber sanktionieren auch die VAE, die Russland bei der Umgehung von Sanktionen
Hilfe zugesagt haben. In der Tat gäbe es dadurch Schwierigkeiten, in der Region
Hardwarekapazitäten aufzubauen, sagt eine Professorin, die in den Emiraten lehrt.
Die Emirate haben lange versucht, in den internationalen
Konflikten Neutralität zu wahren. Doch im heißen Wettrennen um Künstliche
Intelligenz ist das nicht mehr möglich. Zu erbittert ringen die USA und China
um den Vorsprung in der Forschung, zu groß ist die Angst, Spionage zum Opfer zu
fallen. Beim Deal zwischen Microsoft und G42 haben die USA deshalb
durchgesetzt, dass die Partner chinesische Hardware aus ihren Systemen ausbauen
müssen.
Das Handelsblatt wollte von Microsoft wissen, ob der
emiratische Partner künftig im Rahmen der Kooperation die wichtigen
Grafikprozessoren nutzen kann und ob G42 auch ohne den US-Konzern gleichermaßen
Zugang zu diesen Chips bekommen hätte. Doch Microsoft wollte sich dazu genauso
wenig äußern wie zum eigenen Geschäft im Nahen Osten.
Ein Diplomat in Abu Dhabi beobachtet, dass die USA über
Kooperationen vor Ort Brandmauern gegen China einziehen. Die Microsoft-Zusagen
seien nun ein klares Signal, für wen sich die Emirate als Partner entschieden
hätten: Im Grunde hätten sie die Chinesen im Bereich Künstliche Intelligenz vor
die Tür gesetzt.
„Wir würden am liebsten mit beiden arbeiten, aber wenn wir
uns entscheiden müssen, dann wählen wir Amerika“, sagt ein Einheimischer, der
nah dran ist an den politischen Entscheidungsträgern. 1,5 Milliarden hätten die
VAE wohl auch von China bekommen können. „Der Punkt ist: In der KI-Welt komme
es auf Vernetzung an und die USA sind deutlich besser vernetzt als China.“
Der Milliardendeal von Microsoft dürfte nur der erste in
einer Reihe von US-Investments gewesen sein, vermuten einige. Lamya Kaddor,
Bundestagsabgeordnete der Grünen, sagt: „Das ist ein offensichtlicher
Paradigmenwechsel.“
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